Samstag, 19. Februar 2011

Wer braucht schon Kanji?

漢字! Kanji! Wohl mit eine der größten Hürden, die es zu bewältigen gibt, wenn man sich die japanische Sprache aneignen will. Kanji sind schön, Kanji sind mysteriös, Kanji sind praktisch, Kanji bringen einen zum Verzweifeln, Kanji sind nützlich, Kanji sind furchtbar... Es gibt viel, was man über die chinesischen Schriftzeichen, die im Japanischen verwendet werden, sagen kann. Man kann sie lieben, sie hassen, oder sie einfach akzeptieren. Was aber ist die "richtige" Antwort auf die Frage: Wer braucht schon Kanji?

Viele Kurse und Bücher verzichten zunächst voll auf Kanji. Statt dessen wird zunächst nur in Romaji gelehrt, und irgendwann auf Hiragana und Katakana erweitert. Die Kanji sind einfach zu schwer und zu viele, als daß man einen Lernanfänger sofort damit konfrontiert. Nicht wahr? - Falsch! Meiner Meinung nach. Ich möchte kurz von meiner eigenen Erfahrung erzählen, damit sich jeder ein Bild davon machen und eine eigene Meinung bilden kann, ob und wann für ihn oder sie die richtige Zeit ist, Kanjis zu lernen, oder eben nicht.



Wie eben erwähnt, habe auch ich mein Selbststudium der japanischen Sprache angefangen, während ich auf Kanji weitgehend verzichtet habe. Zwar war ich von der Schönheit dieser Zeichen, die jedem Text etwas mystisches geben - selbst wenn es sich nur um eine Einkaufsliste oder Waschanleitung handelt - von Anfang an fasziniert, doch schien es ein auswegloses Unterfangen, diese komplexen Zeichen in ihrer Fülle (für den Alltag ist ein Grundrepertoire von über 2000 Zeichen nötig!) jemals erfassen zu können. Getrieben von der Ungeduld, schnelle Erfolge erzielen zu wollen, beschränkte ich mich darauf, mit Hiragana und Katakana auszukommen. Diesen Schritt sollte man so früh wie möglich machen, und die Welt der Romaji verlassen, da die vielen ähnlichen Laute kaum zu unterscheiden sind, sobald man jedoch die Silbenschrift verwendet, werden die Unterschiede schneller deutlich und sind leichter zu behalten.

Doch genügt das? Um ehrlich zu sein: Nein. Japanisch ist gespickt mit Homonymen, was es auch so schwer macht, diese Sprache passiv zu lernen, indem man ihr einfach ausgesetzt ist. In anderen Sprachen, wie beispielsweise Englisch oder Französisch, kann man in der Regel davon ausgehen, daß (fast) alles, was man hört, eine eigene Bedeutung hat. Im Japanischen gilt das leider nicht, und so können gleich klingende Wort zig verschiedene Bedeutungen tragen. Hier helfen die Kanji aus.

Was bedeutet "kami" かみ? 
  1. かみ: 紙 = Papier
  2. かみ: 神 = Gott
  3. かみ: 髪 = Haar

Ein Beispiel, welches sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Während einer Unterhaltung mit einer Freundin, erzählte mir davon, daß sie gerne Umziehen möchte. Allerdings sei der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen. Sie sprach von ihrem Freund und sagte mir:

「かれはくるまでまつ。」

 Was bedeutet das? Ich hörte folgendes:

「かれが車で待つ。」 - "Er wartet im Auto." Ich fragte mich, von welchem Auto sie spräche, und warum er dort warten sollte, da ich den Sinn dieser Aussage nicht erfassen konnte. Doch sie klärte auf, was sie tatsächlich gesagt hatte:

「かれが来るまで待つ。」 - "Ich warte, bis er kommt." - Phonetisch sind diese beiden Sätze nahezu identisch, und eine Schreibweise in Hiragana machen den Unterschied zunichte. Zu diesem Punkt wünschte ich mir, daß man auch in Kanji spräche, um derartige Mißverständnisse zu vermeiden.(Der spitzfindige Leser mag hierbei nun kritisieren, daß wie schon angedeutet, in einer Konversation mir Kanji auch nicht weitergeholfen hätten, oder daß bei ausreichend fortgeschrittenem Level der Kontext und die Grammatik möglicherweise den Unterschied noch verdeutlicht hätten. Dem kann ich nur entgegnen: Solche Situationen kann man auch antreffen, wenn man nicht spricht, sondern Mails, Briefe, Bücher oder sonstwas schreiben bzw. lesen will. Und solange man noch kein Meister der japanischen Sprache ist, ist es meiner Meinung nach schwer oder teilweise unmöglich, grammatikalische Details genau genug oder schnell genug zu erörtern.)

Dies sollte nur ein Beispiel sein, bei dem Kanji geholfen hätten, den Sinn deutlicher zu machen. Da im japanischen in der Regel keine Trennung zwischen den einzelnen Wörtern existiert, sondern alles in einem fort durchgeschrieben wird, sind Kanji eine große Hilfe, um einen Text einfacher und flüssiger lesen zu können. Hier komme ich auch gleich zu meiner zweiten Hauptmotivation, Kanji verstehen können zu wollen. Das Lesen! Anfangs ist man stolz mit den beiden Silbenalphabeten, und freut sich, wenn man tatsächlich an einem Laden ein Schild mit der Aufschrift うどん oder ラーメン lesen kann. Allerdings sind das nur sehr wenige Ausnahmen. Ohne Kanji-Kenntnisse läuft man durch Japan wie ein Analphabet. Jedes Schild, jede Anzeige, jede Nachricht oder jede Speisekarte erscheint einem in unentzifferbaren Hieroglyphen. Sobald man seine ersten Gehversuche in dieser Kultur macht, wird man noch genug mit vielen neuen Aspekten beschäftigt sein, um sich an diesem Umstand - diesem Mißstand - nicht zu sehr zu stören. Doch sobald man tiefer Einblicken möchte, mehr verstehen möchte, sind Kanji einfach unumgänglich.

Dies führt auch direkt zu meiner Antwort auf die Anfangs gestellte fragen. Wer Kanji braucht? Jeder, der sich wirklich eindringlich und tiefgehend mit der japanischen Sprache (und Kultur?) beschäftigen möchte. Wer also lediglich genug Japanisch lernen möchte, um bei einer Reise in dieses Land eine gewisse Grundkommunikation beherrschen möchte, kann getrost auf Kanji verzichten. Für diesen Fall sind schnelle Erfolge wichtig. Hierzu empfehle ich einen nach Themen sortierten Sprachführer, wie beispielsweise Kauderwelsch, Japanisch Wort für Wort der Wert darauf legt, den Reisenden schnell mit den wichtigsten Redewendungen vertraut zu machen. Selbst wenn man den Namen einer Sehenswürdigkeit, eines Hotels, oder des Bahnhofs, den man sucht, nicht auf einem Schild lesen kann, wird man mit grundsätzlichen Sprachkenntnissen doch irgendwie zum Ziel kommen, wenn man sich einfach durchfragt. Hier sind schnelle Erfolge gefragt, und wichtiger als ein eindringliches Studium der japanischen Sprache.

Wer allerdings ernsthaft das Ziel hat, diese Sprache in ihrer Ganzheit zu begreifen, dem lege ich ans Herz, von Anfang an damit zu beginnen, auch die nötigen Kanji zu lernen. Kanji sind ein essentieller Bestandteil der Sprache, und unverzichtbar, um wirklich Japanisch zu lernen. Ich selbst mußte leider schmerzlich die Erfahrung machen, daß es sich später rächt, wenn man zu lange damit wartet. Die Lücke zwischen dem Sprech-Level und dem Lese-Level wird zu groß, und es ist sehr schwer, dies nachträglich aufzuholen und zu füllen. Um die Nuancen der Sprache wirklich begreifen zu können, sind Kanji nicht nur hilfreich, sondern unverzichtbar. Zunächst sind die Zeichen mit ihren vielen Strichen und komplexen Formen zwar vielleicht abschreckend, aber sie helfen ungemein beim Verständnis neuer gelernter Wörter, und beim Erkennen und Lesen.Es sind zwar sehr viele Zeichen, die man studieren muß, aber in jeder anderen Sprache fängt man auch damit an, zunächst einmal das Alphabet lesen zu können. Wer zum Beispiel Französisch lernt, muß sich beispielsweise auch mit den Unterschieden zwischen é, è und ê auseinandersetzen, anstatt einfach nur "e" zu schreiben. Im Japanischen ist es nicht anders. Darum appeliere ich an alle, die wirklich Japanisch lernen wollen: Habt keine Angst vor den Kanji, stellt Euch der Herausforderung so früh wie möglich, es wird sich auf jeden Fall lohnen!

Zum Abschluß noch ein meiner Meinung nach sehr guter Buchtipp: Basic Kanji Book: 1 Dieses Buch hebt sich dadurch von den unzählichen anderen Büchern ab, daß es nicht nur Wortlisten beinhaltet, sondern sehr gute Übungen, kurze Texte, die die neu gelernten aufeinander aufbauend verwenden, und vor allem sehr nützliche Kanji, die man im Alltag sehr häufig antrifft. Andere Bücher oder Kurse gehen oft nach dem Schulsystem vor, nach dem die Kinder in Japan von der ersten bis zur sechsten Klasse (!) den natürlichen Umgang mit den grundlegenden rund 2000 Kanji lernen. Für einen Neuling der japanischen Sprache ist meiner Meinung nach der Ansatz in diesem Buch besser geeignet, da besonders eine regelmäßige Verwendung der neu gelernten Materialien hilft, sich die Schriftzeichen besser merken zu können, wenn man ihnen im Alltag begegnet.

Viel Spaß und Erfolg an alle Lernenden. お互い頑張ろう!


Freitag, 18. Februar 2011

Entwarnung - Oder: Japaner sind auch nur Menschen

Kurz Vorweg: Ich bin großer Japan-Fan und bringe diesen Menschen und ihrer Kultur großen Respekt entgegen. Trotzdem (oder gerade deshalb?) ist es mir gerade ein Anliegen, zu klären, daß Japaner auch nur Menschen sind.



Worum geht es eigentlich? Wenn man die Buchhandlungen oder das Internet nach Informationen durchstöbert, stößt man unweigerlich Zahlreiche Seiten, Bücher und Informationen, die uns barbarische Westler anleiten sollen, wie man sich in Japan richtig zu benehmen hat. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, und einige dieser Werke treffen den richtigen Ton und verstehen es, mit Witz und Charm die kulturellen Unterschiede aufzuzeigen und zu erklären, und dabei Interesse zu wecken, während man gleichzeitig auf unterhaltsame Weise etwas lernen kann. Ein Beispiel hierfür, das mir viel Freude beim Lesen bereitet hat, ist dieses hier: Fettnäpfchenführer Japan: Die Axt im Chrysanthemenwald.

Daneben gibt es aber auch leider zahlreiche Beiträge, die einfach nur abschreckend und engstirnig geschrieben sind, und sich lediglich auf die Ausbreitung von Clichées beschränken. Oftmals entsteht dabei ein Bild, welches Japan als gnadenlose Kultur und unbarmherzigen Bewohnern portraitiert, was jeden Besucher unmittelbar in Angstschweiß ausbrechen läßt ob der Frage, ob tatsächlich der lokale Knigge eingehalten wurde, oder welchen Faux-Pas man gerade versucht, krampfhaft zu vermeiden.

Diese Artikel sind gefüllt mir Floskeln wie "Keinesfalls dürfen Sie..." oder "Vermeiden Sie es unbedingt..." und dergleichen. Viele dieser Artikel erzeugen oftmals nur eins: Einerseits (für diejenigen, die ohnehin nicht vorhaben, dieses schöne Land zu besuchen) Schmunzeln über die Ach-so-engstirnige Kultur, die sich in ihrer Entwicklung noch im Mittelalter zu befinden scheint. Andererseits (für alle Japaninteressierten) die Erzeugung von Streß und Angst davor, was man alles falsch machen kann, wenn man sich denn tatsächlich mal aufmacht, und eine Reise ins Land der aufgehenden Sonne zu wagen.

Daher die gewählte Überschrift dieses Artikels. Nachdem ich wieder einmal über einen derartigen Bericht gestolpert bin, der Japan mit seinen ganzen Benimm-Fallen als alles andere als ein einladendes Land darstellt, war es mir ein großes Anliegen, hier zu intervenieren - ja, eine kleine Entwarnung zu geben!

Zugegeben, Japan ist ein Land, in dem vieles grundlegend anders ist, als wir es aus der westlichen Kultur gewohnt sind. Was wir allerdings gemein haben (nicht nur mit Japanern, sondern mit allen aufgeschlossenen Menschen), ist das gegenseitige Interesse. Der Japaner an sich hat oftmals kaum Gelegenheiten, die eigene Heimat zu verlassen, weswegen man als Nicht-Japaner schon das eine oder andere Mal bestaunt wird, so wie auch wir uns beim Anblick einer Geisha oder eines Samurais in voller Montur in einer deutschen Großstadt die Hälse verrenken würden. Dieses Interesse oder diese Neugierde ist ganz natürlich, und es ist schön, sich darauf einzulassen, und gegenseitig die Kulturen austauschen zu können. Keinesfalls ist es so, wie es oft in diversen "Kniggeführern" und der gleichen dargestellt wird: die Japaner warten NICHT nur darauf, daß sich der 馬鹿外人, der dumme Ausländer, einen Patzer leistet, um diesen dann gnadenlos zu ahnden oder wütend darüber zu richten. Natürlich gibt es vieles, was man als Westler nicht weiß oder nicht versteht, aber da wir in diesem Land so deutlich als Exot, als Außenseiter auffallen, sind uns diese Patzer im Rahmen auch vergönnt.

Selbstverständich gibt es Dinge, die man vermeiden sollte, aber dies gebietet bereits der gesunde Menschenverstand. Bei kleinen "Schnitzern", die in unserer Kultur vielleicht normal sind, oder einfach einen anderen Stellenwert haben, wird darüber geschmunzelt, und die Japaner werden den Reisenden gerne und höflich darauf aufmerksam machen, welches Verhalten beim nächtsten Mal vermieden werden sollte. Hieraus kann ein schöner Dialog und Kulturaustausch entstehen (wenn man eine gemeinsame Kommunikationssprache findet), und zumindest hat man vielleicht nach einem Tritt ins Fettnäpfchen ein paar Japanern eine lustige Anekdote des Tages geboten, die sie beim nächsten Mal ihren Freunden, Kollegen oder Familie erzählen können.

Wichtig ist es meiner Meinung nach, nicht zu versuchen, japanischer zu sein, als die Japaner selbst. Wenn man Respekt und offenheit gegenüber der fremden Kultur zeigt, ohne gleichzeitig sich selbst und seine eigenen Wurzeln aufzugeben, kann man eigentlich nicht allzuviel falsch machen. In Japan ist es vielleicht nicht üblich, beispielsweise einer Frau die Tür auzuhalten oder in den Mantel zu helfen, und ein "sayonara" zur Verabschiedung aus dem Supermarkt wird mit Lachen quittiert (hat eher ein Gefühl von "Lebewohl!" als "Auf Wiedersehen."), aber derartige Unterschiede werden interessiert aufgenommen und helfen, die unterschiedlichen Denkweisen auszutauschen. Diese De-Mystifizierung Japans ist hilfreich und nötig, um Ängste abbauen zu können und den Kulturaustausch zu fördern. Deswegen bitte immer daran denken: Japaner sind auch nur Menschen!